
Sie haben zwischen November 2002 und Juni 2010 eine Baufinanzierung abschlossen und sich Ihren Traum vom Haus oder der eigenen Wohnung erfüllt? Dann gehören Sie vielleicht zu den Darlehensnehmern, deren Immobilienvertrag eine nicht korrekte Widerrufsbelehrung enthält.
Die Verbraucherzentralen von Hamburg, Bremen und Sachsen haben zahlreiche Darlehensverträge unterschiedlicher Banken unter die Lupe genommen und auf Herz und Nieren geprüft. Heraus kam:
Die Widerrufsbelehrungen sind in bis zu 80 Prozent aller Fälle fehlerhaft. Infolgedessen widerrufen Verbraucher noch heute – lange nach Ablauf der Widerrufsfrist – erfolgreich ihre Baufinanzierung. In diesem Zusammenhang wird deshalb auch vom Widerrufs-Joker gesprochen.
Inhaltsverzeichnis
Das Widerrufsrecht nach Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB)
Wer in Deutschland als Verbraucher einen Vertrag abschließt, der hat laut § 355 BGB das Recht diesen innerhalb von mindestens 14 Tagen zu kündigen. Sie müssen dabei nicht angeben, aus welchen Gründen dies geschieht.
Ist die Widerrufsbelehrung jedoch mit Mängeln behaftet, da sie den gesetzlichen Vorgaben nicht entspricht, kann von Darlehensnehmern der Widerrufs-Joker gezogen und der Widerruf ewig ausgeübt werden. Hierdurch können Verbraucher sehr viel Geld sparen. Bis zu 10.000 Euro sind keine Seltenheit.
Der Widerrufs-Joker und die Vorfälligkeitsentschädigung
Angesichts der aktuellen Finanzmarktlage denken viele Verbraucher über die vorzeitige Ablösung oder Rückgabe ihres Darlehens nach. Im Vergleich zu den zum Vertragsabschluss vereinbarten Zinsen (Sollzinssatz), bieten Banken Immobiliendarlehen heute wesentlich günstiger an. Bis zu 3 Prozent niedrigere Bauzinsen sind aktuell nicht unüblich. Der Widerrufs-Joker kann damit bares Geld bringen.

Eine Bank muss dem Wunsch eines Darlehensnehmers nach vorzeitiger Rückgabe eines Verbraucherdarlehens bei noch laufender Sollzinsbindung (Zinsfestschreibungszeit) nicht unter allen Umständen stattgeben.
Sie kann als Voraussetzung für ihre Zustimmung auch ein Vorfälligkeitsentgelt verlangen.
Ob es sich lohnt auf diese Forderung einzugehen, um sich vorzeitig aus dem Darlehensvertrag zu lösen, darüber geben Experten aus dem Bank- und Kapitalmarkt Auskunft.
Die Vorfälligkeitsentschädigung setzt sich zusammen aus dem Refinanzierungsschaden und dem Margenschaden. Banken müssen die zurückgeführten Summen zu niedrigeren Zinsen erneut anlegen – wodurch ihnen die Zinsen entgehen. Das Missverhältnis der Zinssätze ist als Refinanzierungsschaden definiert. Als Margenschaden wird der Verlust des Nettogewinns der Bank bezeichnet.
Wie der Widerrufs-Joker in Darlehen und Krediten entstanden ist
Das Bundesministerium der Justiz stellte Banken mit Einführung des Widerrufsrechts bei Immobiliendarlehen im Jahr 2002 ein Muster für die Widerrufsbelehrung von Verbrauchern zur Verfügung. Banken wie ING-Diba, Deutsche Bank, Commerzbank, DKB und viele weitere nahmen diese Angebot gerne an, passten es an und legten es ihren Kunden vor.

Die Krux: Durch die Anpassung von Inhalt und Gestaltung schlichen sich Fehler ein, die nun – auch Jahre später noch – dazu führen, dass mit dem Widerrufs-Joker eine Rückabwicklung des Darlehensvertrages eingeleitet wird.
Im Rahmen einer Rückabwicklung erfolgt die Rückerstattung der empfangenen Leistungen. Das bedeutet, der Verbraucher zahlt der Bank die erhaltene Darlehenssumme zurück und umgekehrt erhält er die bereits gezahlten Zins- und Tilgungszahlungen wieder.
Woran Sie eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung erkennen
In der Vergangenheit haben sich zahlreiche Gerichte mit der Frage beschäftigt, unter welchen Umständen eine Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß erfolgt. Folgende Formulierungen führen – neben noch vielen weiteren – zur Ungültigkeit:
- “Die Frist beginnt frühestens mit dem Erhalt dieser Belehrung.”
Dieser Passus ist nicht rechtens, da der Verbraucher aus diesem Wortlaut den genauen Startzeitpunkt nicht ermitteln kann (BGH Az. VIII ZR 219/08). Der Widerrufs-Joker lässt sich hier anwenden. - “Im Falle des Widerrufs müssen Sie die erhaltene Sache zurück- und gezogene Nutzungen herausgeben. Ferner haben Sie Wertersatz zu leisten, soweit die Rückgewähr (…) nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist (…)”
Abgesehen von ihren Pflichten sind Verbraucher in Widerrufsbelehrungen auch über ihre Rechte zu informieren. Erfolgt dies nicht, kann auch hier der Widerrufs-Joker laut Verbraucherzentrale gezogen werden (BGH Az. VII ZR 122/06) - “Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag nachdem dem Darlehensnehmer diese Belehrung mitgeteilt und eine Vertragsurkunde, der schriftliche Darlehensantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Darlehensantrages zu Verfügung gestellt wurde.”
Mit dieser Formulierung wird der Darlehensnehmer irregeführt.Dem von der Bank vorgelegten Angebot müsste zunächst zugestimmt werden. Erst dann würde die Widerrufsfrist beginnen. Dieser Umstand wird hier nicht deutlich genug hervorgehoben, weshalb bei einer solchen Widerrufsbelehrung der Joker erfolgreich wäre (BGH Az. XI ZR 33/08).
Tipps für den erfolgreichen Widerruf vom Darlehen
Spielen Sie mit dem Gedanken Ihren Kredit- oder Darlehensvertrag zu widerrufen? Dann sollten Sie unbedingt einige Empfehlungen beachten.
- Die anwaltliche Unterstützung ist beim Widerruf des Darlehensvertrages ratsam. Wenden Sie sich an einen erfahrenen Anwalt oder suchen Sie die Verbraucherzentrale auf. An beiden Stellen können Sie Ihren Vertrag auf Richtigkeit überprüfen lassen.
- Erkundigen Sie sich, bevor Sie den Sie den Widerrufs-Joker ziehen, über die noch vorhandene Restschuld – also wie hoch der Betrag ist, den Sie zum Zeitpunkt des Widerrufs noch zurückzahlen müssen. Sie sind verpflichtet, ihn in der Regel 30 Tage nach der Aufkündigung zu begleichen. Gegebenenfalls ist ein neuer Kredit für die Tilgung der alten Schulden aufzunehmen.
- Stimmt die Bank dem Widerruf nicht zu, sollte ein Anwalt konsultiert und gegebenenfalls Schadensersatz gefordert werden.
Widerrufs-Joker nicht mehr lange gültig
Wer vom Widerrufs-Joker noch in diesem Jahr profitieren will, der sollte sich beeilen. Denn im nächsten Jahr, am 21. März 2016 kommt das „Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie“.
Verbraucher haben dann nicht mehr die Möglichkeit, ihr Recht auf Widerruf ewig auszuüben. Stattdessen kann ein Vertrag mit einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung dann nur noch in einem Zeitraum von 12 Monaten und 14 Tagen nach Vertragsschluss widerrufen werden.
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